Keine Bieridee: Rheinfelden trifft Neuchâtel

Austauschprojekte mit dem Welschland haben an der Bezirksschule Rheinfelden Tradition. Vor allem Schülerinnen und Schüler schätzen das Angebot. Sie erhalten damit Jahr für Jahr die Gelegenheit für eine einzigartige Sprach- und Lebenserfahrung.

Text: Philipp Grünenfelder; Fotos: Pascal Burger

«Marie Curie?!», werfen drei Schülerinnen und Schüler fast simultan in die Runde. Die Antwort auf die Frage, wer die alkoholische Gärung mittels Hefepilze entdeckt hat, ist zwar falsch, zeigt aber immerhin, wie selbstverständlich 14- und 15-Jährige den Bier-Clou einer Frau zuschreiben. Dass die Vermutung auf eine frankophone Wissenschaftspersönlichkeit fällt, ist hingegen weniger überraschend, denn die drei Jugendlichen stammen aus Neuchâtel. Zusammen mit acht weiteren Schülerinnen und Schülern des Collège du Mail verbringen sie Mitte Mai 2019 eine Austauschwoche an der Bezirksschule Rheinfelden. Die Hefepilzfrage ist Bestandteil einer zweisprachigen, didaktischen Führung durch die Brauerei Feldschlösschen. «Um dieses populäre Wahrzeichen kommt man hier schlicht nicht herum», erklärt Dorothee Meng. Die Sprach- und Musiklehrerin organsierte den Schulaustausch in Kooperation mit ihrem welschen Kollegen Ludovic Spori, der die Deutschschweizer Jugendlichen bereits im April am Neuenburgersee empfangen durfte. «Neben der Spracherfahrung und dem Einblick in den regulären Unterricht wollen wir mit Aktivitäten wie dieser Führung oder Ausflügen ins Basler Münster und den Zolli auch Zugänge zu regionalen Eigenheiten ermöglichen», sagt Meng. Und als erwarte sie Kritik, fügt sie schmunzelnd hinzu: «Der Ausschank von Bier im Feldschlösschen zählt selbstverständlich nicht zu den Zugängen, die wir schaffen wollen.» Offeriert werden zum Abschluss Softgetränke und frische Brezel. Zur grossen Freude der buntgemischten Gruppe, denn die starke Frühlingssonne macht genauso durstig wie die vielen Eindrücke aus den teils stickig warmen Produktionsanlagen.

Organisationsaufwand lohnt sich mehrfach

Die zufriedenen Gesichter sind für Meng der Lohn für so manche Stunde Extraeinsatz in den vergangenen Monaten. «Es gab einiges vorzubereiten, aber wenn ich sehe, wie motiviert nun alle dabei waren, ist es die Mühe wert», betont die 31-Jährige und windet auch ihrer Schulleitung ein Kränzchen. «Ich werde auf allen Ebenen unterstützt und muss die verpassten Lektionen beispielsweise nicht nacharbeiten», sagt sie. Sie wisse, dass das andernorts keine Selbstverständlichkeit sei, «dabei sollte doch unbestritten sein, dass die jungen Menschen möglichst früh auch mit der gelebten Sprache jenseits der Klassenzimmer und Lehrmittel in Berührung kommen müssen». Die Schülerinnen und Schüler sehen das offenbar genauso. «Teilweise kommt der Folgejahrgang bereits Wochen vor der Lancierung auf mich zu und fragt, wann denn endlich die Anmeldefrist für den Austausch mit Neuchâtel beginne», freut sie sich. Das Projekt hat in Rheinfelden Tradition. Allein Meng hat es schon sechsmal organisiert und davor während mehrerer Jahre ein ebenso engagierter Kollege. «Solange sich die Westschweizer ebenfalls begeistern lassen, machen wir weiter», sagt sie und blickt verschmitzt fordernd zu Eric Spähni. Der 25-jährige Lehrerkollege begleitet sie und die Jugendlichen während der Woche und soll dereinst den Projektlead übernehmen. Dazu gehört u. a. das Einreichen eines Unterstützungsantrags an Movetia. Die nationale Agentur für Austausch und Mobilität unterstützt das Projekt mit einem Pauschalbetrag. Die restlichen Kosten decken die Schulleitung und die Eltern, wobei letztere vor allem den Tandempartnerinnen und -partnern ihrer Kinder Kost und Logis gewähren. «Toll ist, dass die Eltern jeweils auch den Abschlussabend organisieren – dieses Jahr backt ein Vater zum Beispiel für die ganze Bande Pizza in einem Quartiertreff», so Meng.

Austausch ist eine Erfahrung für das Leben

Weil bei dieser positiven Ausgangslage die Nachfrage das Angebot übersteigt, muss jeweils das Los über die Teilnahme entscheiden. Anmelden dürfen sich alle 7.-Klässlerinnen und -Klässler, die über einen genügenden Notenschnitt verfügen und im Unterricht nicht sonderlich negativ auffallen. «Schliesslich wollen wir den Lehrpersonen und Gastfamilien in Neuchâtel keine Scherereien bereiten», sagt Meng. Für die Lehrpersonen Eric Spähni und Dorothee Meng bedeutet das Austauschprojekt Mehreinsatz – der sich aber voll auszahlt. «Es sollte doch unbestritten sein, dass die jungen Menschen möglichst früh auch mit der gelebten Sprache jenseits der Klassenzimmer und Lehrmittel in Berührung kommen müssen». Von negativen Erlebnissen wissen die Beteiligten jedenfalls nichts zu berichten – im Gegenteil. «Ich hatte anfangs zwar etwas Bammel vor dem tagelangen Besuch einer uns völlig fremden Person, aber das hat sich schnell gelegt», blickt die Neuenburgerin Clara auf den April zurück. Mit ihrer Tandempartnerin Sereina habe sie sich bereits im Vorfeld über WhatsApp ausgetauscht. «Dadurch konnten wir uns und unsere Familien ein wenig kennenlernen und herausfinden, was auf uns zukommt», sagt sie. «Ich fühlte mich sehr willkommen und wohl bei Clara und ihren Eltern», ergänzt die Aargauerin. Wie sonst auch radelt sie mit ihrem Gast die ganze Woche mit dem Velo zwischen Magden und Rheinfelden hin und her. Beim Aufenthalt in Neuenburg waren die Wege einiges kürzer. Dabei imponierte Sereina vor allem das städtische Flair. «Es ist dort alles viel dichter, trotz riesigem See. Und es gibt so viel zu tun», schwärmt sie. Gleichzeitig stellt sie klar, dass sie das viele Grün zu Hause schon auch sehr mag. 

Es sollte doch unbestritten sein, dass die jungen Menschen möglichst früh auch mit der gelebten Sprache jenseits der Klassenzimmer und Lehrmittel in Berührung kommen müssen.

Dorothee Meng weiss um diesen Effekt, auch das Zuhause neu zu entdecken und zu schätzen: «Es gibt Mütter, die mir später mitteilten, ihre Kinder hätten sie nach der Rückkehr gedrückt und gemeint, sie seien eben doch die besten Mamis.» Weniger familiäre als sprachliche Hürden hatte Giulia zu bewältigen. Sie erfuhr plötzlich, dass Französisch nicht gleich Französisch sein muss. «Im welschen Fernsehen verstand ich jedenfalls einiges mehr als bei den Gesprächen in der Gastfamilie oder im Collège», berichtet sie. Yannick kennt das Problem, beobachtete aber eher kulturelle und organisatorische Unterschiede. Etwa im Unterricht: «In Neuchâtel war alles etwas lockerer», findet er und sieht darin positive wie negative Aspekte. Klar begrüssen tut er den Umstand, dass «wir dort im Gegensatz zu Rheinfelden in der Pause das Handy benutzen durften … ». Frau Meng wird darüber hinwegsehen, zumal auf der Feldschlösschen-Führung auch ohne Smartphone noch die richtige Antwort auf die Hefepilzfrage fällt: Louis Pasteur.