Ein Palästinenser lernt die Lebensweise im Schwarzenburgerland

Für ein Jahr weilt der Palästinenser Issa Rashmawi in der Region Schwarzenburg und unterstützt dort einen Bauern bei seiner Arbeit.

Dieser Beitrag wird von den Freiburger Nachrichten zur Verfügung gestellt: Redaktion Georges Scherrer, Fotos Aldo Ellena

«Von meinem Arbeitsplatz aus sehe ich grüne, bewaldete Bergflanken, dahinter die schneebedeckten Berggipfel. Ich sehe zwei Jahreszeiten gleichzeitig. In Bethlehem, wo ich herkomme, haben wir auch Hügel. Ich sehe dort aber immer nur eine Jahreszeit.» Der 27-jährige Issa Rashmawi leistet einen einjährigen Freiwilligeneinsatz bei einem Bauer in Schwarzenburg und ist überzeugt: Frieden in seiner Heimat ist nur möglich, wenn die Menschen die nationalen Grenzen überwinden und miteinander reden. Die Gewalt in Palästina und Israel kennt er aus eigener Erfahrung. 

Zwei Mal kam es in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten zu grossen Aufständen, die Intifada genannt werden. Die zweite Intifada dauerte von 2000 bis 2005. Die Eltern bemühten sich, die Kinder von der Politik fernzuhalten. Der christliche Palästinenser erzählt weiter: «Ein Onkel wurde von den Israeli entführt, gefoltert und ermordet.» Dennoch hat der Palästinenser den Weg des Dialogs gewählt. Für ein Jahr teilt er in Niederscherli die Wohnung mit einer jungen Israelin, die ebenfalls für einen Freiwilligeneinsatz im Kanton Bern weilt.

«Wir zwei sind nicht Feinde», präzisiert Issa Rashmawi. Beide besuchten vor ihrer Abfahrt ein Seminar, in dem über die Situation der beiden Länder Palästina und Israel gesprochen wurde.

Dabei ging es darum, das eigene Land aus der Sicht der anderen zu sehen. Indem man die anderen kennenlernt, ist eine Friedensarbeit möglich. Der andere ist nicht mehr der Feind, sondern der Freund.

Nun teilt er mit einer Jüdin die Wohnung. «Ich wollte ein neues Land und eine neue Kultur kennenlernen», sagt der orthodoxe Christ. Die Schweiz sei besonders interessant, weil im Land Menschen verschiedener Kulturen leben.

Kontakt mit der Natur

Die Mitarbeit auf dem Bauernhof ermögliche es ihm, mit der Natur und den Tieren in Kontakt zu sein. Alle Arbeiten kann er jedoch nicht übernehmen. Er verwirft die Hände: «Nein, auf einen Traktor steige ich nicht. Ich verfüge nicht über den notwendigen Ausweis.» Er unterstützt zudem als Freiwilliger die Stiftung Urgestein in Guggisberg. Für diese erarbeitet er eine Broschüre für ein neues Programm.

Die winterliche Wärme

Zur Schweizer Kultur gehört auch die hiesige Küche. Kartoffelstock und Rösti hat er kennengelernt, doch das Fondue macht das Rennen. «Man kann beim Fondue-Essen wunderbar miteinander spielen. Wenn ein Stück Brot in den Käse fällt, gibt es ein Glas Wein.» Diesen darf er als palästinensischer Christ trinken.

Ein langes Schweigen folgt auf die Frage, was seine Lieblingsspeise in der Heimat sei. Er sagt dann: «Molokhia.» Dabei handelt es sich um ein Suppengericht, das im Winter zubereitet wird. «Sie wärmt richtig – wie das Fondue.»Welche Erfahrungen aus Bethlehem teilt er mit den Leuten im Berner Oberland?

Es gibt Übereinstimmungen im gesellschaftlichen Leben. Hier wie dort sagen wir Guten Morgen, wenn wir uns vormittags begegnen. Auch wenn man sich nicht kennt.

Der Palästinenser ist seit Oktober in der Schweiz und hat die Hälfte seines Freiwilligeneinsatzes zurückgelegt. Er schaut vorwärts: «In meiner Heimat werde ich mich wieder daran gewöhnen müssen, dass ich an den Checkpoints halten muss. Hier kann ich mit dem Zug frei dorthin reisen, wohin es mich zieht. Das ist richtig entspannend.»

Erste Lehren aus der Schweiz

Der Aufenthalt in der Schweiz vermittle ihm neue Perspektiven und Erfahrungen. Er hofft, dass er diese in Palästina anwenden kann. Die Schweizer Erfahrung werde es ihm zudem ermöglichen, den Lebensstil in den beiden Ländern besser zu verstehen. «Eines betone ich aber: Wir Palästinenser haben auch unsere eigene wertvolle Lebensweise.» Zu dieser zählt er das Verhältnis der Menschen zu den historischen und religiösen Stätten.

Von der Politik lässt er in Bethlehem die Finger. Dort konzentriert er sich auf seine Arbeit als Touristenführer und Hotelrezeptionist. Eines sei aber sicher: «Ich werde in die Schweiz zurückzukommen, um noch mehr zu lernen.» Was er von seinem Aufenthalt bestimmt mitnehmen wird: «In Palästina werde ich pünktlicher sein und mein Leben besser strukturieren.»

Austausch mit Movetia

Issa Rashmawi weilt im Rahmen des europäischen Freiwilligendienstes in der Schweiz. Dieser ermöglicht es Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren, zwei bis zwölf Monate in einem anderen Land zu leben und in einem gemeinnützigen Projekt zu arbeiten. Die Organisationen, welche die Jugendlichen begleiten, erhalten Unterstützung. In der Schweiz gehört die Organisation Movetia dazu. Sie handelt als nationale Agentur zur Förderung von Austausch, Mobilität und Kooperation in Bildungsbereichen im Auftrag von Bund und Kantonen.