Der Europäische Freiwilligendienst - trotz Pandemie ein Erfolg: Erfahrungsberichte

Die Verbreitung von Covid-19 in Europa und dem Rest der Welt hat die internationalen Austausche stark eingeschränkt. Der Grossteil der internationalen Mobilitätsprojekte wurde pausiert, abgesagt oder durch Online-Austausche ersetzt. Eines der wenigen von Movetia finanzierten Programme, das trotz dieser Krise fast normal weitergeführt werden konnte, war der Europäische Freiwilligendienst. Hier die Gründe für den Erfolg.

Der Europäische Freiwilligendienst (European Voluntary Service, EVS) ermöglicht es Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 17 bis 30 Jahren für eine Dauer von zwei Wochen bis zwölf Monaten einen gemeinnützigen Einsatz in Europa und den benachbarten Ländern zu leisten. In dieser Zeit können sie neue Kompetenzen entwickeln, wertvolle interkulturelle Erfahrung sammeln und gleichzeitig die Aufnahmeorganisation tatkräftig unterstützen. Durch den Ausbruch der Covid-19-Pandemie in Europa anfangs 2020 wurde das Organisieren von EVS aufgrund von Grenzschliessungen, Lockdowns und Quarantänemassnahmen der verschiedenen Länder deutlich schwieriger. Einige Mobilitäten mussten deshalb abgesagt, verkürzt, verschoben oder pausiert werden.  Dennoch konnten trotz Pandemie 13 Schweizerinnen und Schweizer ihren freiwilligen Einsatz in Europa und 32 Jugendliche aus dem Ausland ihren Einsatz* in der Schweiz leisten – angesichts der Umstände ein voller Erfolg. Wie war das möglich?

*Jugendliche und junge Erwachsene, die ihren freiwilligen Einsatz teilweise oder ganz in den Monaten Januar bis November 2020 leisteten.

Zusammenarbeit

Ob mit oder ohne Covid-19, die Zusammenarbeit der zahlreichen Akteurinnen und Akteure ist ein zentraler Punkt des EVS-Programms: Die koordinierende Organisation kümmert sich um den Finanzierungsantrag, die Verwaltung der Fördermittel und die Koordination; die Aufnahmeorganisation bereitet sich auf die Aufnahme der freiwilligen Helferinnen und Helfer vor und die Entsendeorganisation bereitet die Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor ihrer Abreise auf ihren Einsatz vor. Die Freiwilligen nehmen mit der Unterstützung dieser Organisationen aktiv an der Planung ihres Einsatzes teil. Aufgrund der Pandemie mussten die Organisationen ihre Zusammenarbeit weiter verstärken. Da jedes Land andere Massnahmen zur Eindämmung des Virus verabschiedet hatte, mussten die diesbezüglichen Informationen schnell zwischen den Organisationen des Ursprungs- und des Gastlandes zirkulieren, damit die Austausche trotzdem stattfinden konnten.

Flexibilität und Anpassungsfähigkeit

Auch bei einem EVS, der unter normalen Bedingungen stattfindet, sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sowohl seitens der Freiwilligen als auch der Organisationen unabdingbar: Es gilt, mit einer neuen Umgebung, einer neuen Kultur, einer neuen Person, unvorhergesehenen Ereignissen usw. zurechtzukommen. Doch durch Covid-19 wurden alle gezwungen, sich an eine komplizierte und sich verändernde Realität anzupassen.

Einige Aufnahmeorganisationen waren von der Pandemie mehr betroffen als andere und mussten einen Teil ihrer Aktivitäten anpassen: Die Fondation Ton sur Ton zum Beispiel, ein regionales Kompetenzzentrum für künstlerische Ausbildung, musste ihre Präsenzkurse für mehrere Wochen unterbrechen und durch Onlinekurse ersetzen, und die Suppenküche in Lausanne muss die Mahlzeiten neuerdings unter freiem Himmel servieren.

Durch diese Veränderungen wurden natürlich auch Zeitplan und Aufgaben der freiwilligen Helferinnen und Helfer dieser Organisationen beeinflusst. Christophe Studer, Direktor der Fondation Ton sur Ton, erklärt: «Wegen Covid-19 auf die Aufnahme europäischer Volontärinnen und Volontäre zu verzichten, wäre eine verpasste Chance gewesen, ein Aufgeben, der einfache Weg.» Sowohl die koordinierenden, die Aufnahme- und die Entsendeorganisationen als auch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst mussten also noch viel mehr Flexibilität, Einfallsreichtum und Anpassungsfähigkeit an den Tag legen, damit diese internationalen Austausche stattfinden konnten. Eine Herausforderung, die die Mehrheit mit Bravour bestand.

Maria, Volontärin aus Russland

Ein EVS-Projekt ist immer eine einzigartige Erfahrung – die Pandemie machte sie nur noch einzigartiger. 

Unterstützung und Begleitung der Jugendlichen

Ein Grundpfeiler des EVS-Programms ist die Begleitung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor und während ihres Volontariats. Vor ihrer Abreise nehmen sie in ihrem Ursprungsland an einem «Pre-Departure Training» teil, das sie so gut wie möglich auf ihren Austausch vorbereiten soll. In diesem Jahr waren während dieser Schulungen natürlich auch Covid-19 und seine Auswirkungen Thema. Im Gastland werden die Jugendlichen und jungen Erwachsenen dann von mehreren Personen betreut: einerseits von einer Tutorin oder einem Tutor innerhalb der Aufnahmeorganisation und andererseits von einer Mentorin oder einem Mentor ausserhalb. Diese begleiten die Volontärinnen und Volontäre während ihres Einsatzes und bei der Integration im neuen Arbeits- und Lebensumfeld.

Die freiwilligen Helferinnen und Helfer nehmen zudem an einer oder sogar zwei Schulungen teil, die von den nationalen Agenturen des Gastlandes (z. B. Movetia in der Schweiz) organisiert werden. Aufgrund der Pandemie mussten in diesem Jahr einige Schulungen online durchgeführt werden, was sowohl für die Organisatorinnen und Organisatoren als auch für die Teilnehmenden eine grosse Herausforderung darstellte. Obwohl die Begleitung bereits vor Covid-19 sehr umfassend organisiert war, bewirkte die Gesundheitskrise, dass die verschiedenen Akteurinnen und Akteure den Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusätzliche Mittel zur Unterstützung bereitstellen mussten. Denn zusätzlich zu den normalen Herausforderungen eines interkulturellen Austauschs mussten die Teilnehmenden noch weitere Schwierigkeiten bewältigen.

Myriam aus Italien

In der aktuellen Situation ist es sehr schwierig, neue Leute kennenzulernen und Freundschaften zu schliessen. Auch die Schliessung von Museen, Theatern, Kinos usw. gestaltete die Zeit schwieriger.

Der SCI und ICYE, die koordinierenden Organisationen der Schweiz, mussten die Begleitung der Freiwilligen überdenken. Sara Moreno, Verantwortliche des EVS-Programms beim SCI berichtet: «Um physische Treffen zu vermeiden, fanden alle Kontakte mit den Freiwilligen sowie den Partnerinnen und Partnern online statt. Dennoch konnten wir ihnen die benötigte Unterstützung bieten, damit sie sich in ihrem Umfeld […] sicher fühlten.» ICYE verfolgte einen ähnlichen Ansatz, wie Adélie Clément, EVS-Verantwortliche, erklärt: «Wir organisierten Treffen über Videokonferenzseiten, verwendeten Onlinetools wie Miro, um interaktiv mit den Volontärinnen und Volontären über ihre Erfahrungen zu sprechen, und haben mit Sharing-Plattformen wie Padlet dafür gesorgt, dass sie miteinander in Kontakt kamen.»

Diese ausgebauten Unterstützungs- und Begleitmassnahmen scheinen sich bewährt zu haben, denn der Grossteil der Freiwilligen, die zum Zeitpunkt der Krise bereits vor Ort waren, entschieden sich, zu bleiben und ihren Einsatz fortzuführen. Natürlich bedauern einige, dass sie nicht dieselben Freiheiten geniessen konnten, die sie während eines EVS ohne Covid-19 gehabt hätten, jedoch berichten alle von einer bereichernden Erfahrung.

Motivation und gegenseitige Hilfe

Um einen EVS zu leisten, bedarf es der steten Motivation, eine Organisation zu unterstützen, neue Kompetenzen zu entwickeln und interkulturelle Erfahrung zu sammeln. Um einen EVS während einer Pandemie zu leisten, muss diese Motivation noch zehnmal grösser sein. Covid-19 brachte tatsächlich zahlreiche neue Herausforderungen mit sich. Dies schien jedoch weder die Organisationen noch die Teilnehmenden zu entmutigen. Christophe Studer von Ton sur Ton, der in diesem Jahr zwei Freiwillige aufgenommen hat, bestätigt: «Das Wertvolle am EVS-Programm ist die Zusammenarbeit mit den Freiwilligen über Monate hinweg – Seite an Seite überstehen wir zusammen fröhliche und schwierige Zeiten, erleben jeden freiwilligen Einsatz solidarisch mit und sind gegenseitig für einander verantwortlich. Diese globale Krise gemeinsam und solidarisch zu durchlaufen, gehört eben auch dazu, auch das ist das ‹echte Leben›.»

Christophe Studer von Ton sur Ton

Das Wertvolle am EVS-Programm ist die Zusammenarbeit mit den Freiwilligen über Monate hinweg – Seite an Seite überstehen wir zusammen fröhliche und schwierige Zeiten, erleben jeden freiwilligen Einsatz solidarisch mit und sind gegenseitig für einander verantwortlich. Diese globale Krise gemeinsam und solidarisch zu durchlaufen, gehört eben auch dazu, auch das ist das ‹echte Leben›.

Mehrere Volontärinnen und Volontäre erwähnten, dass sie gern bereit waren, ihre Aufnahmeorganisation in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen und dass sie dabei viel aus der Situation lernen konnten:

  • Maëlle, Volontärin aus Frankreich: «Es war meine Pflicht, sie in dieser schwierigen Phase mit meinen Fähigkeiten zu unterstützen. Trotz Absagen und zahlreichen Problemen verlief mein EVS extrem gut und ich konnte voll von meinen Erfahrungen profitieren.»
  • «Ich dachte, dies ist eine gute Möglichkeit, mich nützlich zu machen und etwas zu tun. Und ich glaube immer noch, dass es besser ist, als zu Hause zu sitzen und nichts zu tun. Hier kann ich immerhin eine neue Sprache lernen und neue Erfahrungen sammeln.» Mariam, Schweizer Volontärin in Liechtenstein
  • Lise, Schweizer Volontärin in Frankreich, sagt, dass sie dank Covid-19 gelernt hat, «wie andere Länder, andere Kulturen […] mit dieser ausserordentlichen Situation umgehen». 

Wie diese Kommentare zeigen, konnten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ihren Einsatz trotz Pandemie angefangen oder fortgeführt haben, und auch die Aufnahmeorganisationen dieser Erfahrung sehr viel Positives abgewinnen.

Das Geheimnis für die Organisation eines EVS während einer weltweiten Pandemie ist vielleicht wirklich dieses: Das Programm hatte bereits vor der Krise eine solide Struktur und konnte auf den ausserordentlichen Einsatz der verschiedenen Organisationen und Freiwilligen zählen, um weiterhin zu funktionieren. Natürlich hoffen alle, dass die Pandemie bald nur noch eine schlechte Erinnerung sein wird – und in der Zwischenzeit machen sie gute Miene zum bösen Spiel...