Bieler und Leipziger Klassen sind der Demokratie auf der Spur

Diese Woche fand ein Austausch zwischen dem Gymnasium Biel Seeland und einer Leipziger Schule statt. Die Schülerinnen und Schüler beschäftigten sich mit dem politischen System in der Schweiz – und haben bemerkt, dass in Bern einiges anders läuft als in Berlin.

Dieser Beitrag wird vom Bieler Tagblatt zur Verfügung gestellt: Redaktion und Fotos: Anne Marti

Lautstark diskutierend verlassen die rund 35 Jugendlichen das Bundeshaus in Bern. «Die Stühle im Kommissionszimmer sind ja echt bequem», sagt einer. Oder: «Ich finde das komisch … Die Politikerinnen und Politiker werden in der Schweiz ja quasi dafür bezahlt, die Meinung einer Lobby zu vertreten.» Was auffällt: Manche Gespräche werden auf Schweizerdeutsch geführt, andere auf Hochdeutsch.

Unterschiede finden

«Formen der Demokratie im Vergleich » – dies ist das Thema eines Austauschprojekts des Gymnasiums Biel-Seeland und des Gerda-Taro-Gymnasiums aus Leipzig. Die Gäste sind nach einer fast achtstündigen Zugfahrt am Sonntag in Biel angekommen und blicken nun gemeinsam mit der Bieler Klasse 25f auf eine Woche voller Aktivitäten und des gegenseitigen Austauschs zurück. Dazu gehörte nicht nur der Besuch des Bundeshauses, auch eine Reise nach Genf zur Uno und eine Führung im Politforum Käfigturm durften nicht fehlen. Im April wird die Bieler Klasse dann nach Deutschland reisen.

Das ganze Projekt ist durch die Schulleitungen der beiden Gymnasien organisiert worden. Das Projekt wurde von den Schulleitungen initiiert, durch Movetia, einer nationalen Agentur zur Förderung von Austausch und Mobilität im Bildungssystem, kam es zustande. «Wir sind eine junge Schule mit dem Fokus auf Demokratien », erklärt einer der mitgereisten Lehrer. «Es ist sehr spannend, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und der Schweiz zu erleben.» Das ganze Projekt wurde durch die beiden Schulleitungen initiiert und durch die Organisation Movetia, einer nationalen Agentur zur Förderung von Austausch und Mobilität im Bildungssystem, ermöglicht. Thomas Zwygart, Lehrer am Gymnasium Biel-Seeland und Mitorganisator des Projekts, freut sich über den Austausch. Er hatte vor Jahren schon einen ähnlichen Austausch organisiert. Da er sich damit auskennt, war er es, der die einzelnen Programmpunkte organisierte. So auch der Besuch im Bundeshaus.
 

Es ist sehr spannend, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und der Schweiz zu erleben.

Über Tell und Kunst

«Wer von euch war schon einmal im Bundeshaus?», fragt SP Nationalrat Matthias Aebischer in die Runde. Ein paar, aber nicht allzu viele, Hände erheben sich. Dies ändert sich schnell, schon geht die in zwei Gruppen aufgeteilte Führung durchs 120 Jahre alte Regierungsgebäude los. Eine Gruppe wird von Aebischer geführt, die andere von Nationalrätin Natalie Imboden (Grüne). Von der Wandelhalle – und nachdem die Schülerinnen und Schüler einen kurzen Blick in den grossen Saal werfen konnten – geht es weiter in die Kuppelhalle. «Diese Geschichte kommt euch vermutlich bekannt vor. Es geht um Wilhelm Tell und den Rütlischwur…», sagt Aebischer und deutet auf die Statue der drei Eidgenossen. Er erzählt weitere Anekdoten aus der Schweizer Geschichte: Über ebendiese Statuen und wie sie aufgrund ihrer damaligen Nacktheit neu gemacht werden mussten. Über die Forelle, die beim Bild der Rütliwiese im Nationalratssaal als Aprilscherz in einen Schlitz in der Felswand gezeichnet wurde. Und über die aus der Schweiz stammenden Steine, die für den Bau des Bundeshauses verwendet wurden – und er erzählt, dass ausgerechnet der rote Stein, der für das Abbild des Schweizer Kreuzes verwendet wurde, aus Italien stamme.
 

Unterschiede der Systeme

Zum Schluss treffen sich die Gruppen zu einer gemeinsamen Diskussion in einem der Kommissionszimmer. Es dauert einen Moment, bis alle einen Platz gefunden haben und erste Fragen gestellt werden. «Gibt es etwas, auf das Sie in der deutschen Politik neidisch sind?», fragt ein Junge. Schnell entsteht eine Diskussion über die direkte Demokratie, die dem Schweizer Volk zwar mehr politische Beteiligung ermöglicht als die repräsentative Demokratie in Deutschland. Jedoch verlangsamt sie laut Aebischer auch viele Prozesse. «Beim Ukrainekrieg beispielsweise kommen wir so einfach nicht voran …», sagt er. Auch Imboden findet einige Kritikpunkte. Dass sie im Gegensatz zu ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen aber keinen eigenen Dienstwagen erhält, stört sie nicht. Sie könne als Parteimitglied der Grünen gut auch mit dem Velo zur Arbeit kommen.

Gibt es etwas, auf das Sie in der deutschen Politik neidisch sind?

Eine weitere Frage bezieht sich auf die politische Lobby in der Schweiz. Er finde es ein bisschen merkwürdig, dass die Politikerinnen und Politiker dafür bezahlt werden, eine Meinung zu vertreten, sagt ein Jugendlicher. «Stimmt das mit einer Demokratie überein?» Für Aebischer ist in dieser Hinsicht eine völlige Transparenz darüber, woher welches Geld stammt, entscheidend. Man solle immer 100 Prozent dahinterstehen können. Die Frage, ob im Bundeshaus eine Anzugpflicht herrscht, wird mit einem Lächeln und die Frage nach dem Stadt-Land-Graben in der Schweiz mit einer langen Diskussion beantwortet. Nein, zumindest im Nationalrat sind auch zerrissene Jeans möglich. Und ja, der Stadt-Land-Graben ist auch hier ein Thema und hat einen Einfluss auf die Schweizer Politik. Schliesslich sind alle Fragen gestellt. Beschäftigen tun sie die Jugendlichen aber noch immer, während sie aus dem Bundeshaus und in die Kälte treten.